Werdet sichtbar, Frauen, weil ihr sichtbar sein wollt!

Sichtbar sein steht allen Frauen gut. (Foto: Suhyeon Choi / Unsplash)
Sichtbar sein steht allen Frauen gut. (Foto: Suhyeon Choi / Unsplash)

Etwa zur Halbzeit meiner zehnteiligen Podcast-Serie stellte ich fest, dass ich wesentlich mehr Männer als Frauen interviewt hatte. Ich, die doch sehr sensibilisiert ist für das Thema, sich auch dafür engagiert. Wie hatte das passieren können? Ich teile zwei Erkenntnisse mit Euch.

Im Rahmen meines #NewWork-Podcasts habe ich insgesamt 17 Personen interviewt. Und obwohl ich sehr, sehr viel positives Feedback bekam, war auch vereinzelt Kritik darunter. Etwa zur Halbzeit der Serie erhielt ich eine recht lange Mail, in der eine Hörerin ihre Enttäuschung darüber äußerte, dass bei mir so viele Männer zu Wort kommen. Den Boden ausgeschlagen hatte für sie die Episode mit Robert Franken – dass ich sogar einen Mann für das Frauenthema ausgewählt hatte, das war ihr vollkommen unverständlich.

Ich las die Mail und mein erster Impuls war: Das stimmt nicht. Wenn Du das so empfindest, dann versuche ich das nachzuempfinden, aber eigentlich weiß ich, dass Du mir da Unrecht tust. Ich meine, wie sollte das ausgerechnet mir passieren? Ich bin doch sehr sensibilisiert für das Frauenthema, habe ein weibliches Wirtschaftsmagazin gegründet, engagiere mich bei den Digital Media Women, einem Netzwerk, dem es um die Sichtbarkeit von Frauen geht, bin Mitglied bei den Business and Professional Women, die die Equal-Pay-Kampagne nach Deutschland geholt haben, und überhaupt setze ich doch auch solche Tweets ab:

Ich öffnete also die Homepage meiner Podcast-Serie und zählte nach – und siehe da: Bei Folge sechs hatte ich sieben Männer im Studio begrüßt und nur zwei Frauen. Zwar wusste ich, dass in den kommenden Folgen noch mehr Frauen dabei sein würden, aber zur Halbzeit fiel die Gender-Bilanz dann doch wesentlich ernüchternder aus, als ich jemals gedacht hätte.

Die Kritikerin hatte zumindest in diesem Punkt recht gehabt. Ich fragte mich also, wie das hatte passieren können. Und ich begriff: Es passierte, weil es eben einfach so passiert, wenn man es passieren lässt.

Daraus habe ich zwei Erkenntnisse abgeleitet:

1. Man kann so sensibilisiert sein wie man will, wenn man nicht ganz bewusst an Parität in seinem Studio oder auf seiner Bühne arbeitet, wird es sehr wahrscheinlich nicht zu Parität kommen.

Sensibilisiert sein, es auf dem Schirm haben, das reicht eben nicht. Jeder Organisator, jeder Redakteur, jeder, der mit Menschen arbeitet, sie sprechen lässt, sie interviewt, sie sichtbar macht, muss ganz bewusst und ganz aktiv herbeiführen, Männer und Frauen gleichermaßen sichtbar zu machen. Und sich im Zweifelsfall auch entscheiden, ein Thema fallen zu lassen, wenn sich in der gegebenen Zeit keine Frau findet.

Doch nicht immer habe ich gezielt bestimmte Personen angesprochen. Bei manchen Themen habe ich meine Anfrage einfach in die Organisation hineingegeben und von dort erklärten sich die Interviewten bereit, zu mir ins Studio zu kommen. Bei solchen Anfragen ist die Wahrscheinlichkeit immer höher, dass man einen Mann vermittelt bekommt. Das ist kein Klischee, sondern eine Erfahrung, die ich im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit immer wieder gemacht habe.


Hier könnt ihr alle Folgen hören: Podcast #NewWork online hören


Die internen Prozesse, die zu solchen Entscheidungen führen, sind opak für mich, die außerhalb der Organisation steht. Sie sind sehr komplex, ohne Frage, und viel fließt da hinein: Wie die Organisation geführt wird, wer intern sichtbar ist, wer ermuntert wird oder wer sich überhaupt fähig fühlt. Darauf kann ich, die von außen die Anfrage stellt, nicht viel Einfluss nehmen, außer vielleicht die Bitte mit hinein zu geben, man möge mir doch eventuell eine Frau vermitteln.

Diese konkrete Bitte kann aber nur eine Krücke sein und besonders gut fühle ich mich auch nicht damit, wenn sie nicht viel mit dem Thema meiner journalistischen Arbeit zu tun hat. Das führt mich zu meiner zweiten Erkenntnis:

2. Genauso wie ich als Journalistin also gezielt Frauen ansprechen sollte, so kann das doch nur funktionieren, wenn sich die Frauen auch angesprochen fühlen – proaktiv.

Ich habe das an anderen Stellen schon häufiger formuliert, möchte aber auch an dieser Stelle noch einmal deutlich appellieren: Werdet sichtbar, Frauen, weil ihr sichtbar sein wollt. Nehmt Eure Verantwortung wahr, diese Gesellschaft zu gestalten – ganz wie die Männer. Überlasst ihnen nicht das Feld! Oder das Mikro.

Übrigens, nach zehn Folgen sieht die Bilanz wie folgt aus: Elf Männer, sechs Frauen. Schon besser, aber immer noch nicht perfekt.

Womens Marchs in den USA (2017) (Foto: Samantha Sophia / Unsplash)
Womens Marchs in den USA (2017) (Foto: Samantha Sophia / Unsplash)

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3 Gedanken zu „Werdet sichtbar, Frauen, weil ihr sichtbar sein wollt!

  • 22. März 2017 um 8:21 Uhr
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    Liebe Inga Höltmann,

    Sie schreiben:
    „Jeder Organisator, jeder Redakteur, jeder, der mit Menschen arbeitet, sie sprechen lässt, sie interviewt, sie sichtbar macht, muss ganz bewusst und ganz aktiv herbeiführen, Männer und Frauen gleichermaßen sichtbar zu machen.“

    Dazu eine Frage: Sind Sie der Ansicht, dass eine ganz bewusste sprachliche Sichtbarmachung nicht zwingend dazugehört? Oder sprechen Sie in Ihrem Artikel tatsächlich nur männliche Organisatoren, Redakteure usw. an?

    Antwort
    • 24. März 2017 um 6:39 Uhr
      Permalink

      Ja, das stimmt, ich benutze das Generische Maskulinum. Lange Zeit dachte ich, dass das ausreichend sei, doch ich beginne mehr und mehr zu erkennen – da gebe ich Dir recht – dass das vielleicht doch nicht genug ist. Weshalb ich bisher meine Sprache noch nicht gendere, liegt an zwei Dingen: Ich merke, dass bei mir der Denkprozess noch nicht abgeschlossen ist (ich meine: Warum nicht direkt zum Generischen Femininum übergehen, zumindest zeitweise? Oder abwechselnd?). Zum anderen habe ich nich für mich persönlich noch nicht für eine Art zu gendern entschieden, denn schön sind die ja alle nicht wirklich… Schön fänd ich eine neutralere Sprache wie bei StudentInnen/ Student*innen versus Studierende.

      Aber Danke für den Hinweis, das zeigt mir, dass ich meine Aufmerksamkeit da wieder mehr hinlenken muss!

      Antwort

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