Ausgeträumt

Palast der Republik (Foto: Gestaltbar / photocase.de)
Mehrere Jahre dauerte der Rückbau des Palastes der Republik. Ihn zu sprengen war unmöglich wegen des benachbarten Domes. (Foto: Gestaltbar / photocase.de)

Heute wird im Herzen Berlins fleißig am Stadtschloss gebaut. Es entsteht dort, wo einst der Palast der Republik stand. Jahrelang dauerte sein Rückbau. Im Jahr 2007 habe ich die Baustelle besucht, diese Reportage ist für eine Bewerbung um ein Volontariat entstanden. Sie wurde nie veröffentlicht – bis jetzt.

Das mächtige Skelett lugt über die Baumwipfel. Zwischen seinen rostbraunen Stahlrippen hindurch sieht man den Himmel. Marx und Engels drehen ihm den Rücken zu, blicken stur in Richtung Fernsehturm. Irgend jemand hat Engels einen leeren Becher von Starbucks vor die Füße geworfen.

Baulärm schallt herüber. Das Volk, oder vielmehr seine gewählten Vertreter, haben entschieden, dass der Palast der Republik dem alten Stadtschloss Platz machen muss. Von der DDR-Führung gesprengt soll es nun wieder aufgebaut werden und in altem, feudalem Glanz erstrahlen. So beginnt man mit der Demontage des Palastes.

Doch seit einigen Tagen sind die Pläne für das Stadtschloss auf Eis gelegt, der Bundestag zweifelt die Finanzierbarkeit des Mammut-Projektes an. Auch über die Zwischennutzung des Areals ist nicht endgültig entschieden. Der Abriss des Palastes geht trotzdem weiter.

Ein Ort für Politik, Kultur und das Volk

Der Palast der Republik empfängt keine Besucher mehr. Das war einmal anders. Da war er ein Haus für das Volk. Im Grundbuch waren die ostdeutschen Bürger als seine Besitzer eingetragen. Unter seinem Dach gab es einen Ort für die Politik, für Kunst und Kultur und vor allem für das Volk.

Und das Volk kam gern: Täglich gingen 12.000 Menschen ein und aus, insgesamt fünf Millionen jedes Jahr. Junge Pärchen trafen sich an der „Gläsernen Blume“ im ausladenden Foyer, um in der Mokkamilchbar einen Kaffee zu trinken oder um im Jugendclub zu tanzen. Familien besuchten das Lindenrestaurant, aßen dort Soljanka, Broiler und Schnitzel mit Mischgemüse und Sättigungsbeilage. Er war wie eine Art Mekka, zu dem die Menschen aus allen Ecken der Republik pilgerten. Einmal den Palast betreten! Einmal dort schauen, essen, erleben! Wer wollte das nicht?

Seine Türen sind fest verschlossen

Der Palast der Republik war das Herzstück Ostberlins. Mit seinem Jugendclub oder der Kegelbahn war er nicht nur ein Ort, an dem man sich amüsieren konnte, sondern er bildete auch eines der kulturellen Zentren der Stadt. Neben der Kunstgalerie gab es oben, im vierten Geschoss, auch ein Theater. Hier fanden Theateraufführungen, Konzerte und Lesungen statt. Im Großen Saal traten nationale und internationale Künstler auf, es wurden Bälle veranstaltet oder große Bankette.

Heute ist das Volk ausgesperrt. Und der Beitrag des Palastes zum kulturellen Leben der Hauptstadt wird allenfalls noch sein, dass man ihn eines Tages in einem Museum ausstellt. Von jedem Stuhl, jedem Sessel, jeder Tapete, jedem Hinweisschild, ja sogar jeder Gabel und jedem Löffel ist ein Muster vom Land Berlin eingelagert worden. Auch die Gläserne Blume wurde in ihre Einzelteile zerlegt und sicher verwahrt. Vielleicht baut man irgendwann einen seiner Räume originalgetreu nach, so dass man ihn hinter Glas bestaunen kann?

Dort, wo das Foyer war, klafft eine Lücke im Bauwerk

Michael Möller ist tagein, tagaus hinter dem Bauzaun, der den Palast der Republik von der Stadt trennt. Er ist der technische Leiter des „selektiven Rückbaus“, wie der Abriss korrekt bezeichnet wird. In umgekehrter Reihenfolge seines Aufbaus wird das Gebäude nun wieder abgebaut. Zuallererst wurden direkt nach der Wende Hammer und Zirkel von seiner Front entfernt. Dann, mit Beginn des Rückbaus im Jahr 2006, wurde ihm sein großes Foyer in der Mitte genommen, nun folgen die beiden Flügel rechts und links des Foyers, die den Großen und den Kleinen Saal beherbergten. Ganz zum Schluss kommen die Treppenhäuser an den Ecken an die Reihe. Eine Sprengung ist wegen des Domes in der unmittelbaren Nachbarschaft unmöglich.

Möller steigt die Stufen im Treppenhaus hinauf. Der Stahlbeton liegt frei, teilweise ist der Putz abgeschlagen worden. Er geht in das zweite Geschoss, dorthin, wo sich der Kleine Saal befand, in dem die Volkskammer tagte. Um ihn herum tropft Wasser herunter, schmierige Pfützen haben sich gebildet. Ein Luftzug weht durch die nackten Stahlstreben. Möller deutet auf eine der Pfützen. „Dort war die Tribüne für das Zentralkomitee.“

Eine Gefahr für alle, die in ihm ein- und ausgingen

Hier im Kleinen Saal wurde 1990 der Beitritt zur BRD beschlossen. Die nächste Entscheidung war: Den Palast wegen der Asbestverseuchung schließen. Es sollte die letzte Entscheidung sein, die hier gefällt werden würde. Mit seinen 750 Tonnen Asbest, die verbaut worden waren, war das Gebäude eine Gefahr für alle, die in ihm ein- und ausgingen.

Um das Asbest beseitigen zu können, musste das Bauwerk vollständig entkernt werden: Alle Innenausbauten, alle Zwischenwände, die Decken, die Böden, alles wurde entfernt. Übrig blieb ein nackter Palast, der sein prächtiges Kleid aus Glas und Marmor ablegen musste. Er wurde entkleidet bis auf die Knochen, entblößt steht er seither neben dem prächtigen Dom.

Drei Jahre Kampf gegen das Asbest – und kein Ende

Die Stahlträger waren im Rohbau mit Spritzasbest gegen Brand gesichert worden. Dieser Feuerschutz musste nun wieder runter. Michael Möller kratzt mit dem Fingernagel über eine der Stahlstreben. „Jetzt sind die Träger wie blankgelutscht, da ist kein Hauch von Asbest mehr.“ Denn 300 Arbeiter waren Tag und Nacht damit beschäftigt, jede Strebe einzeln abzufeilen. Für knifflige Ecken musste auch schon mal Werkzeug in der Größe einer Nagelfeile zum Einsatz kommen.

Drei Jahre betrug die Bauzeit des Palastes der Republik. Drei Jahre dauerte die erste Asbestbeseitigung: Von 1998 bis 2001 schabten und feilten die Arbeiter, bevor mit dem Rückbau begonnen werden konnte. Doch bis heute wird immer neues Asbest gefunden: „Manchmal hat der Lehrling einfach die Asbest-Reste, die auf den Betonplatten herumlagen, in die Fugen zwischen die Betonplatten gefegt, bevor der Mörtel reinkam“, sagt Michael Möller. Solche Asbestnester sind in keinem Bauplan verzeichnet. Sie sind der Grund, warum die Kosten für den Rückbau explodieren.

Hinweistafeln erzählen Geschichten über das, was kommen wird

Aus dem „Palazzo Prozzo“, dem Palast zum Angeben, ist der „Ballast der Republik“ geworden; auch als „Altlastpalast“ ist er bezeichnet worden. Der Palast will nicht einfach gehen, er wehrt sich, er sträubt sich, doch er kann sein Dahinscheiden bestenfalls noch verzögern.

Die große Baustelle ist von einem hohen Zaun umgeben, das Betreten des Geländes ist strengstens untersagt. Nachts werden die Hunde losgelassen, damit niemand in seine Nähe kommt. Doch etwas sehen kann man trotzdem: Man kann dem Palast beim Sterben zuschauen. Vor dem Baugelände ist eine Aussichtsplattform aufgebaut. Verspinnwebte Hinweistafeln erzählen vom Stadtschloss, das an diesem Ort eigentlich wieder aufgebaut werden soll. Eigentlich. Wenn der Wiederaufbau finanziert wäre.

Einst flanierten Bürger und Gäste der Stadt über den Marmorboden des Foyers und sahen sich die Galerie an. Hier waren unter dem Titel „Dürfen Kommunisten träumen?“ Bilder bedeutender DDR-Künstler ausgestellt. Nun ist der Traum zu Ende: Weicht der Palast der Republik dem – Nichts?

Palast der Republik Zweifel (Foto: U5 / photocase.de)
(Foto: U5 / photocase.de)

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